Josip Broz Tito

Revolutionär und Lebemann

Die vielen Rollen des jugoslawischen Staatsoberhaupts

WDR am 16. Mai 2024

WDR 5: 9.45 Uhr/ WDR 3: 17.45 Uhr

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Josip Broz Tito. Sein Name steht für Bildung, Arbeit, Wohlstand, Reisefreiheit, internationales Ansehen. Einerseits. Andererseits steht sein Name für Diktatur, Verfolgung Andersdenkender, Einparteiensystem, Restriktionen. 

Tito ist Staatschef im sozialistischen Jugoslawien. Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht er ein Regime im Sinne der Sowjetunion auf. Ende der 1940er Jahre sagt er sich von Josef Stalin los und führt einen milderen Sozialismus ein. Die Menschen dürfen reisen, private Unternehmen führen und im Ausland arbeiten.

Prof. Marie-Janine Calic © Minda de Gunzburg Center for European Studies/ Harvard University

Doch es verbat sich, die rote Linie zu überschreiten, sagt Marie-Janine Calic (Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Universität München): Das sozialistische System und das geeinigte Jugoslawien hatte niemand anzuzweifeln.

Im Zweiten Weltkrieg kämpft Tito als Partisan gegen die deutsche Wehrmacht. Er führt seine Truppen in einen fast aussichtslosen Volksbefreiungskampf. Doch am Ende siegen die Kämpfer und Kämpferinnen gegen einen brutalen und übermächtigen Feind. Knapp zehn Jahre später schafft es Tito, auch Josef Stalin und dem Ostblock eine Absage zu erteilen. Sein sozialistischer Völkerbund ist blockfrei und wird zur dritten Kraft, ein Scharnier zwischen Ost und West. Marie-Janine Calic: „Eine dritte Kraft, die sich durchaus auf Ebene der UNO und in der Weltpolitik eine Stimme hatte.“.

Am 4. Mai 1980 stirbt Tito. Zehn Jahre später bricht sein Lebenswerk zusammen. Jugoslawien verblutet in einem vierjährigen Krieg. 1995 sind 200 000 Menschen tot und Millionen auf der Flucht. 

Gegenwärtig beobachtet Marie Janine Calic eine Art Titostalgie. Bands spielen Jugo-Pop. In Souvenirläden gibt es jugoslawische Flaggen, Abzeichen, Tito-Büsten, Tito-Tassen. Und es gibt Tito-Cafés, in denen warmer Topfenstrudel serviert wird.

Topfenstrudel a la Tito © CF

Tito selbst kochte gern die Rezepte seiner Mutter. Tito wuchs in einer armen, kinderreichen Familie in Kumrovec auf, einem kleinen kroatischen Ort an der slowenischen Grenze. Seine Mutter kochte einfache Speisen wie den kroatischen Topfenstrudel.

In ihrem Buch Gerichte, die die Welt veränderten veröffentlicht Sarah Wiener das Rezept a la Tito; und sie liefert die Geschichte dazu. Zum Beispiel, dass er den Strudel Sophia Loren auftischt, in seiner Sommerresidenz auf der kleinen Adriainsel Vanga. In den Genuss kommen viele Promis aus der ganzen Welt wie Josephin Baker, Richard Burton, Willy Brand.

Oliver Krampitz gestaltet den Teig © CF

Profikoch Oliver Krampitz bäckt den Strudel nach und bewirtet Gäste aus der Nachbarschaft. 

Christina Levy (Pseudonym) © CF

Auch Christina Levy kennt den Topfenstrudel. Das Gebäck ist mit ihrer frühen Kindheit in Jugoslawien verbunden. Christina Levy ist in Alexandria geboren, als Tochter eines serbischen Ingenieurs, der während des zweiten Weltkrieges in der britischen Luftwaffe dient und in Ägypten stationiert ist. Ihre Mutter ist in Alexandria geboren. Sie ist die Tochter einer Familie, die aus Montenegro stammt und in Ägypten lebt. Christina Levys Eltern lernen sich in der ägyptischen Hafenstadt kennen und lassen sich nach dem Krieg in Jugoslawien nieder. Unter Tito wird der Vater verhaftet. Er wollte des Nachts nach Italien fliehen. Doch die Geheimpolizei ist schneller. Der Vater wird verurteilt und leistet Zwangsarbeit. Jahre später migriert die Familie nach Kanada. 

© CF

Ein Chronist des Systems Tito ist Slavko Goldstein, einst Partisan, später Publizist, aufgewachsen in einem jüdischen Elternhaus. Sein Buch 1941. Das Jahr, das nicht vergeht (in der Übersetzung der Schriftstellerin Marica Bodrožić) ist ein berührendes und erschütterndes Zeugnis der Verbrechen, die unter der deutschen und italienischen Besatz begangen wurden, die aber auch die faschistische Ustascha in Kroatien und die Partisanen nach dem Krieg verübten.

Oli Krampitz rollt Teig und Füllung zum Strudel © CF

Im ZeitZeichen kommen zu Wort: die Geschichtsprofessorin Marie-Janine Calic und Christian Levy (Ihr Name ist ein Pseudonym. Ihren wirklichen Namen behält sie für sich).

Oli Krampitz bäckt den Strudel aus dem Kochbuch von Sarah Wiener. Und die Gäste schwelgen in der durchaus ambivalenten Jugo-Nostalgie.

Lidija Mihalj © Privat

Die kroatischen Originaltexte spricht Lidija Mihalj.

LITERATUR

Calic, Marie-Janine: Tito. Der ewige Partisan. Verlag C.H. Beck. München 2020

Calic, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens. Verlag C.H. Beck. München 2018

Goldstein, Slavko: 1941. Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan. Aus dem Kroatischen: Marica Bodrožić. (Godina koja se vraća) S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2018

Wiener, Sarah: 1969. Josip Broz Tito. Der Topfenstrudel, den der jugoslawische Staats-Chef der Schauspielerin Sophia Loren servierte. IN: Gerichte, die die Welt veränderten. S. 209-216). Edition a. Wien 2018

MuseumMobil 

Stiftung Haus der Geschichte NRW

WDR 3 MOSAIK, 14.5.2024, 6 und 8 Uhr

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Ein Besucher im MuseumMobil © CF

Das MuseumMobil der Stiftung Haus der Geschichte NRW tourt durchs Land. Die Museumsmacher:innen sammeln immaterielles und materielles Erbe in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten für ein neues Museum im Behrensbau in Düsseldorf.

Schenkerin Helga Rolf überlässt dem Museum die Eisenbahnuniform ihres Großvaters. Er arbeitete als Schaffner in drei politischen Systemen: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus. © CF
Handwerker und Erfinder Georgios Staikos hält eine Betonplatte in der Hand, die per 3D-Druck erstellt wurde. Sie steht exemplarisch für das erste Wohnhaus im Betondruck, das der griechische Unternehmer kürzlich in Beckum hochgezogen hat. Bauzeit: 100 Stunden. @ CF

Gegenstände der Alltagskultur werden zu musealen Objekten. Und ihre Geschichte zu Oral History/ Herstory. Bis der Behrensbau zum Haus der Geschichte NRW wird, dient ein umgebauter Hochseecontainer als temporäres Museum.

Registrar Dirk Eckerwiegert fotografiert, verzeichnet, verpackt © CF

Ein Bruchteil des gesammelten Gutes kommt in die Vitrinen, sichtbar für alle, die die barrierefreie Schwelle überwinden. Wer wiederum Dinge irgendwo lagern hat, kann sie dem MuseumMobil schenken.

Dr. Peter Henkel (Projektleiter): Wir wollen die Geschichten erzählen, die uns die Menschen mitgeben, um zeigen, wie vielfältig das Land NRW ist. © CF
Dr. Sara-Marie Demiriz (Wissenschaftliche Mitarbeiterin): Wir haben ganz gezielt auch Objekte zur sogenannten Migrationsgeschichte im MuseumMobil, weil sie Ausdruck der Vielfalt in NRW sind. © CF
Dr. Jürgen Peter Schmied (Wissenschaftlicher Mitarbeiter): Die Uniform erzählt nicht nur eine persönliche Geschichte, sondern auch eine politische und Kleidungsgeschichte. © CF
Elias Nüse (Historiker und Ausstellungskoordinator): Der Alltag von heute ist die Geschichte von morgen. © CF

Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen

nächste Termine, jeweils 10-12 Tage

1.6.2024: Siegen

13.6.2024: Bielefeld

3.7.2024: Mülheim an der Ruhr

Postkartenwand im MuseumMobil © CF

Eurovision Song Contest

Camp und Queer

WDR 5, Scala, 10. Mai 2024, 14 und 21 Uhr

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Nemo auf der ESC-Bühne in Malmö. © EBU Foto: Sarah Louise Bennett

Der Eurovision Song Contest ist Glamour, Glitzer, Travestie, ist Licht, Performance, Stimme, ist Kunst und Kitsch, ist Camp, also Künstlichkeit und Stil. Der ESC ist das Alles und noch viel mehr. Ein Wettstreit, der jedes Sportevent in den Schatten stellt. Zumindest fast. Das Weltereignis zieht ein Abermillionenpublikum an.

Bambie Thug aus Irland auf der ESC-Bühne in Malmö. © EBU Foto: Alma Bengtsson

Am 11. Mai 2024 geht der Eurovision Song Contest in die letzte Runde. Austragungsort ist die Malmö Arena in der südschwedischen Hafenstadt an der Ostsee. Das Motto des 68. ESC lautet United by Music. 20 Nationen treten gegeneinander an. Aber glücklicherweise wird das Nationending wohltuend aufgebrochen. Spätestens, wenn die Regenbogenfahnen über den Köpfen flattern.

Olly Alexander auf der ESC-Bühne in Malmö. © EBU Foto: Alma Bengtsson

Wenn nonbinäre Menschen die Bühne rocken wie Nemo aus der Schweiz und Bambie Thug aus Irland. Wenn der Musiker Olly Alexander verspricht, den Union Jack so schwul wie möglich zu schwenken. (Olli Alexander ist in Harrogate geboren. Hier gewann Nicole 1982 den Grand Prix Eurovision de la Chanson mit ihrem Song Ein bisschen Frieden)

Kenzy Loevett von MEGARA auf der ESC-Bühne in Malmö. © EBU Foto: Corinne Cumming

Dänemark schickt die erste queere, schwarze Musicalsängerin Saba nach Malmö; und San Marino die spanische Band Megara mit ihrer lesbischen Frontfrau Kenzy Loevett. Ein cooler Auftritt in Pink und Schwarz, die Musik eine Mischung aus Elektro und Flamenco.

Saba im Halbfinale auf der ESC-Bühne in Malmö. Sie singt die Ballade Sand. © EBU Foto: Corinne Cumming

Leider haben es Saba und Megara nicht ins Finale geschafft. Egal. Sie haben den ESC dennoch aufgemischt.

Hurricane: Eden Golan auf der ESC-Bühne in Malmö. © EBU Foto: Corinne Cumming

Noch ein Wort zu Eden Golan. Ich bin froh, dass sie für Israel im Finale steht. Trotz Buh-Rufen, Pfiffen, Demos. Wie beschämend ist das denn?! 

Triggerwarnung: Schilderung eines Lynchmordes

Warum wird nicht gebuht, wenn Menschen aus Diktaturen beim Sangeswettstreit antreten? Warum wird nicht die Hamas ausgebuht, der Iran? Warum wird nicht zornzitternd geschrien, dass der Hamas Kopf in Katar im Luxus lebt und seine rechte Hand im sicheren Tunnelsystem. Warum wird nicht gebuht angesichts jeder Rakete, die auf Israels Städte abgefeuert werden. Finanziert von Irans Regierung. Warum werden Bluthand-Sticker getragen? Sie stehen für den bestialischen Mord an zwei israelischen Reservisten in Ramallah (2000). Die Mörder zeigen einer johlenden Menge triumphal ihre blutverschmierten Hände und präsentieren die Därme der Opfer! Warum wird gebuht angesichts einer Sängerin, die eine berührende Ballade singt. Die Botschaft ist versteckt. So verlangt es die ESC-Regel: keine Politik. Aus October Rain wird Hurricane

Someone stole the moon tonight
Took my light
Everything is black and white

I’m still broken from this hurricane

Nicht zuletzt ist einem israelischen Star zu verdanken, dass der ESC sein Coming out hatte: Thanks, Dana International!

Sascha Korf © CF

In meinem Feature schaue ich tief ins ESC Herz; und das schlägt auf jeden Fall für LGBTIQA+. Mein Interviewpartner ist Sascha Korf, Comedian, ESC-Experte und absolute Fan. Er sitzt morgen Abend mit einer Freundestruppe am Gardasee und verfolgt das größte Musikfest der Welt auf einem Großbildschirm. 

Und wenn der ESC ein Mensch wäre? 

Sascha Korf: „Ein Mensch? Das wäre wunderbar. Er wäre Queer plus. Lebendig, wild, ehrlich, durchgeknallt und manchmal in sich gekehrt. Er sieht auf jeden Fall jünger aus mit seinen 68 Jahren. Und er spricht 37 Sprachen. Ein Genie!“

© CF

Sascha Korf

Organisation Générale des Amateurs de l’Eurovision

Eurovision Club Germany e.V.

Eurovision Song Contest (© Norddeutscher Rundfunk)

LITERATUR

Sontag, Susan: Notes on Camp. 1964. Penguin Classics 2018

Feddersen, Jan: Queeres Weltkulturerbe. Wie der Eurovision Song Contest
ein schwules Ereignis globalen Profils wurde
. IN: Jahrbuch Sexualitäten. 2019. Wallstein Verlag. Göttingen 2019 (S. 117-152)

Mikrofon mit Europa Flaggen © fotolia Foto: adam121, mrallen

Hanna Schygulla

Ehrenpreis der Deutschen Filmakademie

WDR 5, Scala, 2. Mai 2024, 14 und 21 Uhr

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„Europe’s most exciting actress“, titelt das Time Magazine. Gemeint ist Hanna Schygulla. Sie gehört zweifelsohne zu den großen Stars im europäischen Kino. In den 60er und 70er Jahren hat sie den jungen deutschen Film entscheidend mitgeprägt. Ihr Name ist ganz eng verbunden mit dem Namen einer der bedeutendsten Regisseure des Kunstkinos jener Zeit: Rainer Werner Fassbinder. In den meisten Filmen von Rainer Werner Fassbinder spielte Hanna Schygulla die Hauptrollen. Lili Marleen und Die Ehe der Maria Braun machten die heute 81jährige Schauspielerin weltberühmt. Der ästhetischen Revolte gegen Papas Kino folgt der Einzug ins Startum. Die Ikone des deutschen Films wird zur international gefeierten Diva. 

„Was heißt schon Diva? Jeder Mensch hat etwas Göttliches in sich, und es ist wert, dieses Göttliche in sich zu suchen. Aber das ist jetzt nicht unbedingt etwas, was den größten Lärm macht. Insofern hüte ich mich vor dem Diventum.“ (Hanna Schygulla)

Hanna Schygulla © Claudia Friedrich

Hanna Schygulla dreht mit Carlos Saura, Margarethe von Trotta, Volker Schlöndorff, Fatih Akin, Francois Ozon. Ihre jüngste Rolle ist die Figur einer schrägen, alten Dame von Welt in Yorgos Lanthimos‘ moderner Frankenstein-Saga Poor Things

Hanna Schygulla als Martha von Kurtzrock in Poor Things © The Walt Disney Company/ Foto: Atsushi Nishijima

Vor ein paar Jahren besuche ich Hanna Schygulla in ihrer Wohnung in Paris. Bei Espresso und Bitterschokolade frage ich sie, ob sie sich vorstellen könne, als Lied wiedergeboren zu werden. „Als Lied! Das stelle ich mir ganz wunderbar vor. Nur welches Lied? Vielleicht Freude schöner Götterfunken. Aber in keiner bombastischen Form. So ganz intim. Fast nur geatmet.“

DEUTSCHER FILMPREIS 2024

© CF

Kant & Kunst

Die Geschmacksurteile des Immanuel Kant 

WDR 3 MOSAIK, 25.4.2024, 6 Uhr und 8.40 Uhr

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In der Kritik der Urteilskraft entwirft Immanuel Kant eine eigene Kunsttheorie. Das Werk erscheint 1790, in einer Zeit, als Ästhetik ein angesagter Gesprächsstoff ist, in Tischgesellschaften, unter Gelehrten. Was ist schön? Was ist hässlich?

Welches Urteil würde der galante Magister über die Graphic Novel fällen? Jörg Hülsmann „vercomict“ Leben und Werk des Philosophen. Gedeckte Farben. Großformatige Bilder. Zitate von Zeitgenossen. Kurze Erläuterungen. Die Essenz der Kantischen Theorien. Auch der Kritik der Urteilskraft ist ein Teil gewidmet.

Im dritten seiner kritischen Werke kommen wir dem Ästhetiker Kant sehr nahe. Es geht nicht um Erkenntnis, nicht um Moral, nicht um Zerstreuung. Es geht um das Schöne in Natur und Kunst. Den Gesang von Vögeln zum Beispiel beurteilt Immanuel Kant als schön. Für ihre Stimmen hatte er eindeutig mehr übrig als für die menschlichen Singstimmen.

Dr. Achim Vesper © Foto: Lecher/ Rechte: Goethe Universität

Die Kritik der Urteilskraft enthält in dem ersten Teil, der der Ästhetik gewidmet ist, zunächst eine Theorie des Naturschönen, gefolgt von einer Theorie des Kunstschönen. Das eigentliche Herz liegt in Kants Theorie des Naturschönen. (Dr. Achim Vesper)

© CF

Natur bringt Gebilde hervor, die in sich zweckmäßig sind, zweckmäßig im Sinne von harmonisch auf einander abgestimmt, äußerlich aber ohne Zweck erscheinen. Die Natur ist letztlich auch die Lehrmeisterin der menschengemachten Kunst. Schöne Kunst ist Kunst des Genies, schreibt Immanuel Kant. Ihre Schöpfer, Frauen hatte er ohnehin nicht im Blick, betrachtet er als Talente, Genies, ausgestattet mit Naturgaben, durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt. Mit seiner Theorie des Genies beeinflusst Kant die nachfolgenden Generationen, gewissermaßen bis heute. 

Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschönheit ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge. (Immanuel Kant)

Und wie kommen wir zu unseren Geschmacksurteilen? Wie erkennen wir, was schön und was hässlich ist? 

In der Miniatur gibt’s ne Antwort 😉. Kants Stimme verkörpert der Schauspieler Nils Kretschmer.

Mein Gesprächspartner ist der Philosoph und Kant-Experte Achim Vesper, Mitautor des Buches Kants Philosophie, erschienen beim Verlag C.H. Beck Wissen. 

Durch den Beitrag pfeift sich ganz frech ne Gartengrasmücke. Der kleine Vogel habe auch jedes Frühjahr in der Nähe von Kants Fenster gepfiffen. So berichtet es Johann Gottfried Hasse, einer der ersten Biographen Kants. Ein kleines Detail, das ich in der Graphic Novel Kant von Jörg Hülsmann lesen konnte. Außerdem empfehle ich sehr Claudia Blösers Band Kant 100 Seiten, erschienen beim Reclam Verlag.

LITERATUR

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. (Hg. Gerhard Lehmann). Reclam Verlag. Stuttgart 2024

Blöser, Claudia: Kant. 100 Seiten. Reclam Verlag. Stuttgart 2024

Gava, Gabriele/ Vesper, Achim: Kants Philosophie. Verlag C.H. Beck Wissen. München 2024

Hülsmann, Jörg: Kant. Vom Aufbruch der Gedanken. Graphic Novel. Knesebeck Verlag. München 2024

Willaschek, Markus: Kant. Die Revolution des Denkens. Verlag C.H. Beck. München 2023

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Mythos Kirsche

Von allen Geistern besessen

Mythen und Legenden um einen Baum, der Blüten treibt und Früchte hervorbringt, die es in sich haben

SWR 2 Matinee am 17. März 2024 zum Thema „Die Kirsche“ (9 bis 12 Uhr)

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Kirschblüte © CF

Ist mit Geistern gut Kirschen essen? Noch dazu, wenn der Baum selbst von ihnen besessen ist… Um Kirschenbäume ranken sich viele Mythen. Sie sind magisch, göttlich und ambivalent. Folgen wir den Märchen und Legenden, sind Kirschenbäume Dialektik pur.

Selma Scheele, Erzählerin ( https://www.maerzeit.de) © CF

Kirschen sind mit dem Tod im Bunde, aber auch mit dem Leben. Sie sind süß und haben doch eine Bitternote. Im Sterben sind die Blüten verschwenderisch schön… Wenn das nicht unheimlich ist. Kirschen sind mit sich und uns im Reinen, stehen aber auch für Sünde, zumindest in den Augen der Kirchenmänner. Sie wissen die Früchte nicht anders zu deuten. Kirschenbäume wachsen im Paradies. Auf ein Blatt des Kirschbaums soll Jesus das Weltende notiert haben.

Der Kirschbaum, erzählt von Selma Scheele © CF

Eine der vielen Geschichten lasse ich mir von Selma Scheele erzählen. Die Storytellerin hat sie extra aus ihrer reichen Schatzkiste herausgeholt.

Kerstin Rosemann © CF

Ich spreche mit Kerstin Rosemann über ihre Erinnerungen an die Barbarazweige, die ihre Familie in die Vase gestellt hat, im Winter. Sie erinnert sich an den Kirschbaum im Garten, von dem die Zweige stammen.

Heilige Barbara mit vier Szenen aus ihrem Leben. Eitempera auf Holz (Russland, 18. Jhd.) © Ikonenmuseum Kampen (NL)

Immer am 4. Dezember schnitten die Eltern ein paar Zweige ab. 20 Tage später, pünktlich zu Weihnachten standen die Zweige in voller Blüte. Die Barbarazweige erinnern an die Märtyrerin aus Nikomedia, dem heutigen Izmit in der Türkei. Der 4. Dezember ist ihr Namenstag. Ihre Vita ist auf Ikonen zu sehen.

Heilige Barbara mit zwölf Szenen aus ihrem Leben. Eitempera auf Holz (Russland, 19. Jhd.) © Privatsammlung (NL)

Zwei Ikonen hängen in der Sonderausstellung über heilige Frauen. Beide Ikonen stammen aus Russland und sind in einer Sonderausstellung zu sehen, bis zum 17. März 2024 im Ikonenmuseum Recklinghausen. Ab April 2024 wird Ikona im niederländischen Kampen gezeigt.

Es gibt ein Feature über die Ausstellung Ikona.

© CF

Kirschblüten regnen,

in den Ästen

ein Tempel Yosa Buson. Kyoto. 18. Jahrhundert

© CF

Planet Ozean

Gasometer Oberhausen

WDR 5, Scala, 14. März 2023, 14 und 21 Uhr

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Willy der Wal: Lebensgroße Plastik eines Buckelwalkopfes © Foto CF

Planet Ozean heißt die neue Ausstellung im Gasometer Oberhausen. Der gigantische Luftraum entführt in die Welt der Ozeane. Installationen, Fotos, Videos, interaktive Objekten beleuchten den größten Lebensraum der Erde. Wir befinden uns mitten in der UN-Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung (2021-2030).

Skelett eines Entenwals (Leihgabe des Deutschen Meeresmuseums Stralsund) © CF

Die Objekte, die vielfach preisgekrönten Fotos, Installationen und interaktive Stationen geben einen Einblick in ein Ökosystem mit vielen Unbekannten. Die Werke lassen tief blicken, sehr tief. Die Rezeptur der Ausstellung folgt dem altbewährten Konzept an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst. Und doch wird diese Rezeptur immer mehr verfeinert.

Klang der Tiefe: Im Sitzsack lümmeln, hören, abtauchen. © CF
Das Raumobjekt steht in der Mitte des Gasometers © CF

Neu ist der Akustikraum im Zentrum des Gasometers. In dem runden, abgedunkelten Objekt begeben wir uns auf eine Klangreise, die am Rheindelta beginnt und in der Antarktis endet. Und wir tauchen mit. Vor allem hören wir die unterschiedlichen Stimmen von Meereswesen, hören das Eis, das Wasser…

Die Welle: In der Manege stehen, sehen, abtauchen. © CF

In der Manege, zwei Etagen über dem Akustikraum, zieht uns die Welle in die Tiefen der Ozeane, per Projektoren, Leinwand und Gittergewebe.

Haie auf dem Boden der Manege © CF

Die Installation ist das visuelle Pendant zum Klang der Tiefe. Ein unglaubliches Erlebnis, wenn Haie mich umschwimmen, Buckelwale, Quallen. Auf der Akustischen Ebenen hören wir eine musikalische Erzählung.

Rupert Huber arrangiert seine Komposition für den Gasometer, einen Raum mit fast 20 Sekunden Nachhall © CF

So beschreibt der Komponist Rupert Huber sein Werk für Flügel, Viola, Schlagzeug und einen sehr speziellen Synthesizer.

Unter historischer Decke (600 Tonnen schwere Sthlescheibe): Meisterfotos von Meereswesen © CF

Nicht zu vergessen die großformatige Fotokunst aus der Tiefsee und auch den flacheren Gewässern, die fotojournalistischen Arbeiten über den Einfluss der Menschen auf die Meere. Bilder, die den Schwächsten eine Stimme geben, den Toten ein Denkmal setzen und uns vor Augen halten, wie gnadenlos die Fischindustrie ist, der Kreuzfahrten-Tourismus, die Abfallwirtschaft und und und… Planet Ozean zieht alle Register unserer Gefühle: Heiterkeit, Staunen, Schaudern, Trauer, Zorn. 

Im Gasometer traf ich die Direktorin und Ausstellungskuratorin Jeanette Schmitz, den Kommunikationsmanager Dirk Böttger, den Kurator der Installation Die Welle Nils Sparwasser und den Komponisten Rupert Huber. 

Am Eingang © CF

Der Gasometer Oberhausen ist ein Relikt aus der Zeit, als die Montanindustrie das Ruhrgebiet fest in ihrer Hand hatte und viel überschüssiges Gas produzierte. Wohin mit all der Energie? In die Tonne. Gesagt, getan. In den 1920er Jahren entstanden Speichersysteme. Der Gasometer Oberhausen galt als der letzte Schrei. 50 Jahre später wäre er beinahe das Letzte gewesen. Doch dann kam die Rettung. Erst für ihn, jetzt für die Stadt. Denn die spektakulären Ausstellungen lassen die Menschen zum Gasometer pilgern wie zu einem Heiligtum.

Schafskopf Lippfisch: Jeanette Schmitz steht vor ihrem Lieblingsfisch © CF
Viperfisch: Dirk Böttger steht vor seinem Liebling aus der Tiefsee © CF

Planet Ozean

Gasometer Oberhausen

15.3. bis 30.12.2024

© Klartext Verlag Essen

Katalog

Schmitz, Jeanette: Planet Ozean. Bildband. Klartext Verlag. Essen März/ 2024

Rupert Huber (Komponist, Pianist)

Die Welle: Buckelwal tänzelt über die 40 Meter hohe Leinwand © CF

Kengo Kuma

Onomatopoetische Architektur

Titelbild: Modell des Wooden Bridge Museums © CF

WDR 3, Mosaik, 8. März 2024, 8 Uhr

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Para Para (Körper/ Leere): Wooden Bridge Museum (2011) in der Provinz Kochi © Kengo Kuma and Associates

Kengo Kuma ist ein weltweit gefragter Architekt. Seine Werke stehen in vielen Ländern der Erde. Er schafft Mehrzweckbauten, Brücken, Museen, Teehäuser, das Nationalstadion in Tokio (2020). 

Kengo Kuma is globally a well known architect. His works can be found in many countries around the world. He creates multi-purpose buildings, bridges, museums, teahouses, the national stadium in Tokyo. 

Pata Pata (Licht/ Verflechtung): Blick ins Modell von Kodama.

Kein Leim, keine Schraube hält die Puzzleteile zusammen. Allein Holz und Handwerk. Das Modell zeigt eine Kugel, die sich aus Holzpuzzeln zusammensetzt. Über dem Modell hängt ein Foto von dem vier Meter hohen Pavillon. Der Miniglobus steht in Italien, im Arte Sella-Park

No glue, no screws hold the puzzle pieces together. Only wood and craftsmanship. The model shows a sphere made up of wooden puzzles. A photo of the four-meter-high pavilion hangs above the model. The mini globe is located in Italy, in the Arte Sella Park.

Über den Modellen hängen großformatige Fotografien. Zu sehen sind Kodama und das Même-Haus. © CF

Bei der Architekturbiennale 2023 in Venedig bespielte Kengo Kuma den Palazzo Cavalli-Franchetti. Er stellte rund dreizehn Modelle seiner berühmtesten Bauten aus. Allen Modellen liegt ein Klang zugrunde, Onomatopoesie, was soviel bedeutet wie Lautmalerei. Jetzt ist die Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen, unter dem Titel Onomatopoeia Architecture.

Kengo Kuma presented the Palazzo Cavalli-Franchetti at the 2023 Architecture Biennale in Venice. He exhibited around thirteen models of his most famous buildings. All the models are based on a sound, onomatopoeia. The exhibition can now be seen at the Bundeskunsthalle in Bonn under the title Onomatopoeia Architecture.

Der japanische Architekt Kengo Kuma © J. C. Carbonne

Kengo Kuma bat ich um ein kurzes Statement. Ein Architekten-Kollege stellte ihm die Fragen irgendwo unterwegs im Auto. Und ich besuchte die Ausstellung, als sie noch im Aufbau war. 

I asked Kengo Kuma for a brief statement. A fellow architect asked him the questions in the car somewhere along the way. And I visited the exhibition while it was still under construction. 

Sara Sara (Fluidität/ Weichheit): Die Restauratorin Kaśka Ktiomek reinigt den Japanischen Garten (Portland Oregon 2018). Für sie ist „Kengo Kumas Architektur Entschleunigung„.
Fuwa Fuwa (Elastizität/ Membran): Das Wohnhaus Même auf den Memo Meadows (Hokkaidō/ 2011) © CF

Das Même-Haus steht auf der nördlichsten Insel Japans, auf Hokkaidō, der Heimat der indigenen Ainu. Kengo Kumas Entwurf bezieht sich auf die traditionelle Baukultur. Er setzt auf Nachhaltigkeit und leichte Baustoffe. Beton sei das Material des 20. Jahrhunderts. Das 21. Jahrhundert verlangt weniger Härte, weniger Höhe, viel mehr Licht und Atem. 

The Même House is located on the northernmost island of Japan, on Hokkaidō, the home of the indigenous Ainu people. Kengo Kuma’s design refers to the traditional building culture. He focuses on sustainability and lightweight materials. For him Concrete is the material of the 20th century. The 21st century demands less hardness, less height, much more light and breath.

Para Para (Körper/ Leere) Wooden Bridge Museum über eine Straße im Tal © CF

Das Modell zeigt das Wooden Bridge Museum. Der Bau steht im waldreichen Südwesten Japans, in der Provinz Kochi. Die Bauweise folgt einem klassischen, fast vergessenen Handwerk. Hunderte kleine Hölzer sind ineinander verschachtelt und führen die Last zum Mittelpfeiler. Sie bilden ein Bett, auf dem ein schmaler, langer Balken liegt, ein überdachter Korridor, das Museum. Der Holz-Pfeiler hält das Museum in der Balance. 

The model shows the Wooden Bridge Museum. The building is located in the densely wooded southwest of Japan, in the province of Kochi. The construction method follows a classic, almost forgotten craft. Hundreds of small timbers are interlocked and carry the load to the central pillar. They form a bed on which a narrow, long beam rests, a corridor with roof, which is the museum. The wooden pillar keeps the museum in balance.

Im Wooden Bridge Museum, das auch Ateliers beherbergt © Kengo Kuma and Associates

AUSSTELLUNG

Kengo Kuma. Onomatopoeia Architecture 

8. März bis 1. September 2024

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland

Helmut-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn

KATALOG

ACP Palazzo Franchetti; Chizuko Kanarada; Roberta
Perazzini Calarota [Hrsg.]; Kengo Kuma & Associates [Hrsg.]; Bundeskunsthalle. Mailand: Kengo Kuma. Onomatopoeia Architecture. Dario Cimorelli Editore 2024

Haus Balma in Vals (Schweiz 2022): Das Dach ist mit Gneisschindeln gedeckt © CF

LITERATUR

Kengo Kuma, Philip Jodidio: Kuma. Complete Works 1988 – Today. Verlag Taschen, Köln 2021. 

WEB

Kengo Kuma & Associates

Guru Guru (Wirbel/ Tornado): The Darling Exchange in Sydney (2019) © CF